Der Daoismus (oder Taoismus, chin. dàojiā „Lehre des Weges“) ist eine chinesische Weltanschauung, die neben dem Buddhismus und Konfuzianismus die Menschen in Politik, Wirtschaft, Literatur, Musik, Medizin, Philosophie u.v.m. maßgeblich beeinflusst hat. Wir widmen uns in diesem Artikel ausschließlich den philosophischen Inhalten, da diese für das WingTsun spannend und relevant sind.

Zum einen ist dazu anzumerken, dass dies nur eine sehr vereinfachte Darstellung eines hochkomplexen Zusammenhalts sein kann. Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass wir uns hier mit chinesischem Gedankengut beschäftigen. Chinesische Logik ist von der europäischen sehr unterschiedlich. Unser vom griechischen Philosophen Aristoteles geprägtes Denken beruht häufig auf einem Schwarz-Weiß-Denken: entweder – oder, gut oder schlecht. Dagegen gibt es im Chinesischen, das auf Bildzeichen beruht, beispielsweise neben „gut“ und „schlecht“ auch „nicht gut“ und „nicht schlecht“, die durchaus andere Bedeutungen haben. Anders gesagt, betont das chinesische Denken mehr wechselseitige Beziehungen und deren Qualitäten und weniger die Ausschließlichkeit. Dies kommt besonders deutlich im I Ging, dem Buch der Wandlung, zum Ausdruck. Dort bilden das Positive und das Negative gemeinsam das, was Dao genannt wird. Alle Übersetzungen und Interpretationen in unsere Sprache und unsere Gedankenwelt können nur Annäherungen sein.

Geschichte und Entstehung

Die Ursprünge des Daoismus liegen im 6. bis 4. Jh. v.Chr. und gehen vor allem zurück auf das Werk Daodejing oder Tao Te King: „Das Buch vom Weg und den Tugenden“ oder „Das Buch vom Weltgesetz und seinem Wirken“. Als Autor wird allgemein Laozi genannt, was übersetzt „älterer Gelehrter“ heißt. Dies ist ein sogenannter Titel des Respekts. Wahrscheinlich hat es eine Person dieses Namens aber nie gegeben. Sie wurde erfunden, damit die Lehre des Dao einem geistigen Urahn zugeschrieben werden konnte. Um das Ganze zu untermauern, wurde Laozi auch oft als einer der Lehrermeister des Kongzi (Konfuzius) dargestellt. Die beiden führten Streitgespräche, die Kongzi zur Weisheit führten, was die Lehre sogar über die konfuzianistische stellte. Letztendlich ist das Daodejing eine Sammlung kurzer Lehrsprüche oder Volkswahrheiten. Sie wurden ursprünglich mündlich überliefert und irgendwann von mehreren Autoren niedergeschrieben. So sollten sie zu eigener, subjektiver Interpretation anregen. Es diente mit seinen Anleitungen und Ideen als Lehrbuch vieler Staatsmänner und Monarchen, um ihnen dabei zu helfen, ihr Land gerecht zu regieren. Als Beispiel dafür: eine Regierungsweise, von der die Bürger am wenigsten merken.

Daodejing, Vom Wasser

Nichts in der Welt
ist nachgiebiger und weicher als Wasser.
Doch nichts ist besser,
um Hartes und Starkes zu überwinden.

Dank dem, was es nicht ist, gelingt es ihm leicht.

Das Weiche überwindet das Harte.
Das Schwache überwindet das Starke.
Obwohl jeder es weiß,
handelt keiner danach.

Praktische Lebensphilosophie

An diesem Auszug erkennt man, dass das Daodejing gleichzeitig viele wertvolle Handlungshinweise für das tägliche Leben enthält. Mit diesem Buch erhält der Begriff Dao seine universelle Bedeutung: ein der Welt zugrundeliegendes und ordnendes, alles durchdringendes Prinzip.

Das Daodejing zeigt eine Lebensart (chin. De oder Te = Tugend oder die Fähigkeit der Lebewesen im Einklang mit dem Dao zu leben und zu handeln), die es ermöglicht, der Vervollkommnung entgegenzustreben – quasi ein lebenslanger Führer zur persönlichen Weiterentwicklung. Dieser Lebensweg muss persönlich gegangen und erfahren werden. Mit der richtigen Einstellung ist er mühelos: Man strebt nach geistiger und physischer Gesundheit und lernt, seine Lebensenergie störungsfrei zirkulieren zu lassen. Mit anderen Worten man erreicht seine Ziele erfolgreich, ohne dass Störversuche von Innen oder Außen dies verhindern. Dazu ist es unentbehrlich, die wirkenden Kräfte zu verstehen und ihr Zusammenspiel als Beobachter wahrzunehmen. Man kann nicht einfach willkürlich Veränderungen – in seinem Leben – herbeiführen.

Wu Wei

Diese Haltung nennt man dann Wu Wei, wörtlich „ohne Tun“. Es meint eine Art absichtsloses Handeln im Einklang mit den Naturgesetzen und mit dem Verständnis, ein Teil des Ganzen (Universums) zu sein. Wu Wei ist der – menschliche – Weg zum Dao und De, der Weg zu „guter“ Ordnung und innerem Einklang.

Die Gesetze der Natur zu erkennen und ihnen zu folgen, mit ihnen im Einklang zu sein, dazu bedarf es eines hohen Maßes an Tugend (De) eines jeden Menschen – je nach seinen Möglichkeiten. Dinge sollen nicht erzwungen, voreilige Entscheidungen und Handlungen vermieden werden. Emotionen sollen beobachtet werden. Man sollte lernen, sich nicht von ihnen überwältigen zu lassen. Durch sie verfiele man in Automatismen – dem Gegenteil von freiem Handeln.

Wu Wei kann auch als „Nicht-so-Handeln“ und damit mit „Anders-Handeln“ übersetzt werden. Es beinhaltet damit die Möglichkeit zu einer Umkehr oder Abkehr von üblichen Verhaltensweisen, die, weil ihr Tugend zugrunde liegt, positiv bewertet wird. Das Übliche wird dabei als nicht zielführend oder unzulänglich empfunden. Man kann das Ganze aber nur erreichen, wenn man sich selbst und sein Umfeld im Hier und Jetzt beobachten kann. Theo Fischer umschreibt es treffend so: Man stelle sich das Ziffernblatt einer Uhr vor. Es geht nicht darum, vor dem Sekundenzeiger her zu leben (Zukunftsdenken) und auch nicht darum, dem Zeiger hinterherzulaufen (Vergangenheit). Das Beste ist, auf dem Zeiger „mitzusurfen“. Dafür ist allerdings ein ständiges Inne- und An-sich-Halten erforderlich, um sich dessen bewusst zu werden.

So paradox es scheint: Veränderung geschieht häufig genau dann, wenn man aufhört, etwas unbedingt verändern zu wollen. Probleme lassen sich häufig dann lösen, wenn sie einen nicht mehr beschäftigen. Sie loslassen und sich um andere Dinge kümmern, führt schließlich zum „Heureka-Erlebnis“. Lösungen genauso wie Kreativität können sich erst entfalten, wenn sie genügend Raum erhalten und man die aktive Kontrolle aufgibt. Dann werden die besten Ergebnisse erzielt – zum Beispiel morgens unter der Dusche. Im Daoismus heißt es dann, dass das Dao sich regt. Es handelt intuitiv, aus dem Bauch heraus. Es lässt sich nicht bewusst lenken.

Sein Leben weise führen: Häufig ärgert man sich über jemanden oder etwas wegen bedeutungsloser Konflikte oder Reibereien. Dadurch verliert man selbst nur Energie und ermüdet auf Dauer. Gibt man stattdessen diese lähmenden Gedanken, Überzeugungen auf, lässt etwas durch Nichtstun geschehen, wird man ein kleines Stückchen freier.

Dao (Tao) – der rechte Weg oder das kosmische Prinzip

Dao ist die uranfängliche Einheit, das kosmische Gesetz und das Absolute, das alles miteinander verbindet. Aus dem Dao entsteht der Kosmos, die Ordnung aller Dinge. Es bringt diese hervor und beschränkt sie. Wird damit auch Ursprung und Vereinigung der Gegensätze. Zwar gibt es eine große Vielfalt der Dinge, doch sie sind in einem Ganzen zusammengefasst. Darin sind auch augenscheinliche Gegensätze wieder zu einem verbunden: Yin/Yang, positiv/negativ, weiblich/männlich, wahr/falsch usw.

Dargestellt wird dieses häufig durch einen Kreis, der alles umfasst. Er stellt die Schöpfung dar – leer und gleichzeitig voll. Im Kreis gibt es dunklen, schwarzen Schatten und helles, weißes Licht. Dunkel steht für Yin, weiblich, nach innen gerichtet, während hell dem Yang, männlich, nach außen gerichtet entspricht. Beide tragen allerdings einen Kern des jeweils anderen in sich. Es sind sich ergänzende lebensnotwendige Gegensätze: Das eine lässt das andere entstehen und aus ihren Wandlungen, Bewegungen und Wechselspielen entsteht die Welt. Ohne das eine – z.B. Schatten – kann es das andere – Licht – nicht geben. Sie ergeben gemeinsam einen Zustand des Gleichgewichts. Alle Dinge des Lebens sind in diesen Kreis des Gleichgewichts eingeschlossen. Nichts kann lang in dem einen oder anderen Extremzustand existieren. Yin und Yang sind zwei Klassen von Eigenschaften bzw. zwei Aspekte der Wirklichkeit, auf deren unterschiedlicher Kombination alle Erscheinungen beruhen. Daoismus ist damit, als Harmonie zwischen den Gegensätzen zu verstehen.

Voraussetzung dafür, das Dao zu er-leben, ist es, im Leben offen und neugierig zu sein, damit alles ungefiltert wahrgenommen werden kann. Viel zu häufig gerät man im Beruf, im Privatleben aus dem Gleichgewicht, wodurch man übertrieben mit angewöhnten Verhaltensmustern re-agiert. Konfliktsituationen verschlimmern sich des Öfteren rasant, wenn man unbedacht mit vorgefertigten Überzeugungen und Konzepten impulsiv antwortet. Besser ist es, die Zusammenhänge erst zu beobachten. Nur so lässt sich die Situation bzw. die Welt erleben. Diesen Weg muss jeder selbst gehen. Ein guter Lehrer kann allerdings dem Schüler dabei helfen, diesen Weg zu gehen.

Wichtig ist also für uns, unter sowohl von innen und als auch von außen auf uns wirkenden Impulsen unsere Mitte zu erhalten: das Gleichgewicht von Yin und Yang zu wahren.

In Japan wurde später das chinesische Dao zum Do, um in den japanischen Kampfkünsten so daran zu erinnern, dass es auch um geistige Inhalte geht, nicht nur um das Kämpferische!

Quelle: www.wingtsunwelt.com

Text: Dominique Brizin
Fotos: mg/hm

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